Um Missverständnisse auszuschließen: dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Anwendung das FEEL-Konzeptes in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Das FEEL-Konzept in der Erziehung kann auch für die Ausbildung von Erwachsenen in Studium und Beruf eingesetzt werden, doch dies ist nicht Gegenstand dieses Beitrages.
Die allermeisten Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder. Doch viele Eltern verzweifeln heutzutage an der nie enden wollenden Informationsüberflutung, was das Thema Erziehung betrifft. Erschwert wird dies noch dadurch, dass es nicht nur viele Ideen, Gedanken und Konzepte zum Thema gibt, die sich dann auch oft noch diametral widersprechen. Da werden Kurse besucht, Seminare gebucht, Coachings absolviert und Ärzte und Kinderpsychologen aufgesucht. All dies, um für eine Frage am Ende viele unterschiedliche und auch oft widersprechende Empfehlungen zu erhalten. ADHS und Ritalin sind nur zwei Schlagworte zu diesem Thema.
Wo liegt das Problem?
Ein wichtiger Aspekt sind hierbei gesellschaftliche Erwartungen. Scheitern wird nicht mehr als Teil des normalen Lebens, sondern als minderwertig betrachtet. Dadurch versuchen viele Eltern, ihre Kinder komplett und immer vor dem Scheitern zu schützen. Kinder wachsen heute als die Spielzeuge und Projektionsflächen ihrer Eltern auf, an ihnen wird modelliert, was man selbst gern wäre oder gehabt hätte. Dieses Problem ist in den USA noch um ein Vielfaches grösser als in Deutschland, aber es zeigt, wo Deutschland in 10-20 Jahren vermutlich stehen wird, da es dies auch heute schon in Deutschland gibt.
Das grössere Problem ist aber, dass Menschen verlernt haben, ihren Gefühlen zu folgen, auf sich selbst zu hören und das zu tun, was Ihnen ihr Bauch sagt. Elternhaus, Schule, Ausbildung und Beruf haben hier oft gründliche Arbeit geleistet. der angepasste Mensch des 21. Jahrhunderts hält es oft nicht mehr für möglich, einfach intuitiv recht zu haben und die Dinge richtig zu tun tun. Schade! Genau an dieser Stelle kann das FEEL-Konzept die Probleme mit der Erziehung lösen.
Grenzenlos leben bedeutet für Kinder gerade nicht, dass man ihnen überhaupt keine Grenzen setzt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Kinder brauchen Grenzen, damit sie am Ende grenzenlos leben können. Nur wer Grenzen kennen lernt und kennt, kann diese erfahren, bewerten und sich entscheiden, sie anzunehmen oder sie zu überschreiten und loszulassen. Genau dies wird vielen Kindern nicht mehr vermittelt.
Stattdessen wollen Eltern cool sein und am besten noch der beste Freund ihrer Kinder. Doch leider vergessen Sie bei diesem Ansatz, dass Kinder hierbei nicht das Rolemodel erhalten, von dem sie sich differenzieren und ablösen können.
Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, dass man mit behütetem Elternhaus bezeichnen kann. Ich bin mit Grenzen aufgewachsen, die mir nicht geschadet haben. Ich musste mit dem Fahrrad zur Schule fahren, andere hatten eine Monatskarte. Ich durfte nur kurze Zeit fernsehen, viel kürzer als meine Freunde. Die ersten zehn Jahre meines Lebens hatten meine Eltern keinen Fernseher. Hat mich das eingeschränkt? Nein. Habe ich mich dadurch schlecht gefühlt? Nein. Hat mir etwas gefehlt? Seinerzeit dachte ich dies manchmal. Heute weiß ich, dass mir nichts fehlte.
Denn dadurch hatte ich einen Vorteil – meine Eltern redeten sehr viel mehr mit mir als viele andere Eltern mit ihren Kindern. Hierdurch lernte ich mehr und konnte mein eigenes Weltbild in Abgrenzung zu dem meiner Eltern entwickeln. Ich fand und ich finde die allermeisten Ihrer Glaubenssätze und Verhaltensweisen bis heute falsch. Aber ich hatte das große Glück durch ihren Erziehungsansatz mich sehr früh mit Grenzen auseinandersetzen zu können. Und ich hatte das Glück, dass sie immer zu mir sagten “Junge, lies.” und mir ständig neue Bücher gaben. Ich konnte schon lesen, als ich in die Schule kam. Ich fand lesen immer toll.
Einen Karl May Roman lass ich meistens in einem Tag, meine Eltern verzweifelten. Sie glaubten mir nicht, dass ich die Bücher wirklich las und fragten mich nach den Inhalten. Doch die kannte ich. Mein bester Freund in diesen Jahren war meine Taschenlampe, mit der ich unter der Bettdecke lesen konnte. Ich weiß bis heute nicht, ob es meine Eltern wussten.
Ich weiß es noch wie heute. Als ich bis 100 zählen konnte, ich war zu diesem Zeitpunkt meines meiner Erinnerung nach sieben Jahre alt, wollte ich wissen, ob ich schon 100 Bücher gelesen hatte. Ich hatte mehr gelesen und wollte deshalb weiter zählen können. Ich las in meiner Kindheit alles, was ich kriegen konnte, weil meine Eltern nicht das Geld hatten, mir die vier oder fünf Bücher, die ich jede Woche las, neu zu kaufen. Also wurden ihre Kinderbücher vom Boden geholt und als ich diese gelesen hatte, fing ich an Bücher aus ihrem Studium zu lesen. Ich las die Zeitung, ich las, ich las, ich las.
Ich weiß es noch wie heute, dass an meinem zehnten Geburtstag Apollo 11 auf dem Mond landete und ich zu diesem Zeitpunkt mein 783. Buch las, ich führte eine Liste. 217 Bücher – die Zahl meines Geburtstages – fehlten mir zu 1000 Büchern. Zufall? Nein natürlich nicht, wenn man die Gesetze des Lebens verstanden hat.
Warum habe ich aus meiner Jugend an dieser Stelle erzählt?
Ich habe es erzählt, weil es zeigt ,wie Eltern unterstützen können, das Kinder ihre eigene Sicht auf die Welt und die Dinge (sehr früh) entwickeln können. Die Kehrseite ist, dass Kinder dann auch sehr viel früher gegebenenfalls zu Entscheidungen kommen, die den Eltern wenig oder gar nicht gefallen. Ich entschied mit 14 Jahren, dass ich arbeiten wollte und Schule nicht mein Ding war. Sehr zum Missfallen meiner Eltern. Aber ich war bereit, die Grenzen meines Elternhauses hinter mir zu lassen.
Die Gesetze des Lebens sagen uns, dass alles im Leben polar ist. Heiß und kalt, lang und kurz, hoch und tief und manches mehr. Erziehung ist vielleicht der polarste Bereich des Lebens. Denn bei Erziehung kommt es darauf an, dass unterschiedliche Individuen ihre Grenzen finden, erleben, entfernen und loslassen – gleichzeitig. Dieser Prozess ist für Eltern und Kindern sehr unterschiedlich.
Eltern müssen erkennen, dass ihre Grenzen nicht die Grenzen ihrer Kinder sind oder sein müssen. Die wichtigste Grenze, die Eltern hinter sich lassen müssen, ist die Grenze zu glauben, dass die eigenen Glaubenssätze für ihre Kinder relevant sind oder relevant sein müssen. Diese Grenze erleben Eltern tagtäglich. Nicht einmal, sondern immer wieder.
Das Finden ist in diesem Prozess die Erkenntnis, dass das, was man selbst denkt, nicht automatisch von anderen auch so gedacht werden muss. D.h. nicht, dass man Kindern nicht seine Werte und Glaubenssätze vermittelt – genau das Gegenteil ist richtig. Aber es heißt, dass man nicht erwartet und erwarten darf, dass die Kinder diese Werte und Glaubenssätze übernehmen.
Das Erfahren in diesem Prozess ist der Alltag mit Kindern. Man erlebt hierbei Situationen, in denen sich Kinder an den Eltern orientieren, aber auch reiben, streiten oder ablösen.
Das Entfernen dieser immer wiederkehrenden Grenzen bedeutet nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen. Genau an dieser Stelle fängt Erziehung an. Entfernen der Grenze kann gerade auch bedeuten, das durchzuziehen, was man für richtig hält und ganz einfach seinem Bauch zu folgen und zu entscheiden, was gut für die Kinder ist. Dies haben unsere Eltern oft weit besser getan als die aktuellen Generationen es tun. Gerade hier in Amerika stelle ich fast tagtäglich fest, dass Eltern sich zu Idioten machen. Sie erziehen nicht mehr, sie werden von ihren Kindern gezogen. Hierdurch produzieren sie eine Generation, die es zunehmend schwer hat mit Grenzen umzugehen und wirklich frei zu sein.
Das Loslassen in der Erziehung bedeutet in allererster Linie dem Gefühl und dem Bauch zu folgen. Immer wieder beobachte ich, dass Eltern heutzutage jeder getroffene Entscheidung unendlich oft in Frage stellen. War das richtig? Hätte ich das so tun sollen? Beschädigt dass mein Verhältnis zum Kind?
In meinem Alltag rede ich spätestens nach einigen Monaten mit meinen Coachees mehr über die Erziehung ihrer Kinder als über die Fragen des täglichen Geschäftes, wofür sie mich vordergründig eigentlich buchen. Das ist insofern richtig und notwendig, als da Grenzen im Leben sich immer ganzheitlich auswirken und Probleme im Privatleben immer auch sehr stark in den beruflichen Alltag ausstrahlen.
Für die Kinder stellt sich die Situation ganz anders da.
Der erste und wichtigste Schritt für Kinder beim Erlernen des FEEL-Konzeptes ist, dass sie lernen, Grenzen zu finden. Um Missverständnisse zu vermeiden, dies findet nicht dadurch statt, dass Mama oder Papa sich mit dem Nachwuchs hinsetzen und ganz ernst sagen: “Heute üben wir FEEL!” Das Erlernen der Grenzfindung muss tägliche Routine sein.
Aber wie soll das gehen, wenn Papa oder Mama der beste Freund und Kumpel sind? Das geht nicht! Ich erlebe die Ergebnisse dieses Erziehungsansatzes immer wieder auf meinen vielen Reisen. Zunehmend halten es Eltern für eher unwichtig, Kindern Benehmen und Spielregeln zu vermitteln. Die Kinder müssen sich ja selbst verwirklichen. Doch genau dies ist kein grenzenloses Leben. Kinder, die so aufwachsen, lernen nicht mit Grenzen umzugehen und haben in Ihrem weiteren Leben hierdurch unnötige Probleme.
Kinder finden Grenzen dadurch, dass Eltern ihnen diese setzen und erklären. “Nein”, “Das macht man nicht” oder “Lass das” kann man Kindern durchaus sagen. Man sollte aber nie vergessen, ihnen zu erklären, warum man diese Grenzen setzt. Nur hierdurch sind Kinder dann in der Lage, diese Grenze so zu erfahren, dass sie sich mit ihr auseinandersetzen können. “Nein”, “Das macht man nicht” oder “Lass das” ohne Erklärung geben keine Chance, diese Grenze näher zu entdecken und damit zu erfahren. Die Erklärung von Grenzen ist die Basis des kindlichen Erfahrens, was aber keinesfalls Verständnis oder Akzeptanz bedeuten muss.
Kinder überschreiten Grenzen tagtäglich. Dies ist gut und dieses erforderlich, um die Welt zu entdecken. Aber nur vor dem Hintergrund des Bewusstseins, dass dies eine Grenze ist und dass sie diese Grenze zuvor erfahren haben, können sie sich bewusst entwickeln und das Überschreiten von Grenzen lernen und die Grenzen damit aus ihrer Wahrnehmung entfernen. Und neue Grenzen entdecken.
Das Loslassen der entfernten Grenze ist für Kinder in den meisten Fällen selbstverständlich. Kinder denken – Gott sei Dank – nicht an gestern und morgen, sondern leben im Hier und Jetzt.
Das FEEL-Konzept ist quasi das natürliche Verhalten von Kindern. Sie finden etwas, entdecken und erfahren es, gehen damit ganz natürlich um (auch mit Grenzen die sie ggf. überschreiten!) und lassen es schnell los – das nächste Abenteuer wartet!
Das FEEL-Konzept ist viel wichtiger und schwerer für die Eltern, die in der heutigen Zeit ihren Rucksack aus Glaubenssätzen, Ideologien und Zeitgeist mit sich tragen und erst einmal lernen müssen, dies für das Glück ihrer Kinder loszulassen.
Was sind Deine Erlebnisse in der Erziehung? Schreib es mir bitte in den Kommentaren. In diesem Zusammenhang ist dieser Beitrag auch lesenswert: