Was hat mich zum Titel Lügen und grenzenloses Leben angestossen? Heute las ich, dass der hessische Justizminister Thomas Schäfer Selbstmord begangen hat. Das ist tragisch, ganz besonders vor dem Hintergrund, dass er Frau und Kinder hinterlassen hat. Diese tun mir aufrichtig leid.
In der FAZ wurde auf einen Abschiedsbrief Bezug genommen, in dem Schäfer von der Aussichtslosigkeit in Bezug auf Gesellschaft und Wirtschaft gesprochen haben soll. Genau an dieser Stelle starteten meine Gedanken zu diesem Beitrag.
Mir ging durch den Kopf, was ich alles in rund 30 Jahren Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen und der Privatwirtschaft erlebt habe. Und ich konnte Thomas Schäfer verstehen, wenn er von Aussichtslosigkeit spricht. Ich konnte auch verstehen, was für ein Mensch er gewesen sein könnte, dass er keine andere Lösung sah.
Der Korruptionswahrnehmungsindex 2019 von Transparency International gibt Deutschland den weltweiten 9. Rang. Klasse! Tolles Land! Kaum Korruption! Weiter so! Leider hat dies mit meiner Wahrnehmung der letzten 20 Jahre kaum etwas zu tun. Doch dazu später.
Transparency International – da war doch etwas? Richtig, die haben diese Woche doch erst Dr. Wolfgang Wodarg, einen ausgewiesenen Experten für öffentliche Gesundheitsvorsorge, aus dem Vorstand geschmissen, weil er es wagte, sein Recht auf freie Meinungsäusserung “auf zum Teil antidemokratischen und verschwörungstheoretischen Plattformen” zu nutzen. Das hat mich neugierig gemacht, wer dieser Vorstand überhaupt ist.
Auffällig ist, dass niemand in diesem Vorstand jemals produktiv gearbeitet hat und alle Vorstandsmitglieder – bis auf eines – sich hauptsächlich im öffentlichen Dienst / im politischen Bereich beruflich engagiert haben. Im einzelnen:
- Der Vorsitzende war zuletzt Ministerialdirektor in Baden-Württemberg, Grünen-Politiker
- Die stellvertretende Vorsitzende war 31 Jahre bei ExxonMobil (Esso), einem Unternehmen, dem ständig mangelnde Transparenz und Korruption vorgeworfen wird
- Lobbyist für alternative Energien
- Vorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter, SPD-Mitglied
- Mitarbeiterin Kinderhilfswerk der katholischen Kirche, amnesty international, Pro asyl
- Fachanwalt für Verwaltungsrecht
- Chief Compliance Officer/Syndikus der DEUTZ AG, Köln, CDU-Mitglied
- Rechtsanwalt aus dem Dunstkreis der Politik (7 Jahre Mitarbeiter von Gerhart Baum), FDP-Mitglied
- Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst, UN-Organisationen und bei Transparency International
- Politikberater und Lobbyist, 20 Jahre bei der OECD
Wie geil ist das denn? Da urteilen Lobbyisten und öffentlich Bedienstete, dass die Korruption in Deutschland kein Problem ist! Und wenn sich dann mal einer erdreistet, mögliches Fehlverhalten des öffentlichen Dienstes wie in der Corona-Affäre klar zu bezeichnen, wird er gleich rausgeschmissen!
Genial gemacht!
Transparency International sind offenkundig die Sängerknaben des öffentlichen Dienstes. Parteipolitisch schön proportional verteilt, genau wie einer der überflüssigen Rundfunkräte. Denn ihre Bewertung der Korruption in Deutschland hat rein gar nichts mit der Realität zu tun, die ich seit 30 Jahren erlebe.
Ja, es gibt Korruption in der Wirtschaft. Das habe ich erlebt und damit kann man umgehen. In manchen Branchen mehr, in anderen weniger oder gar nicht. Insgesamt ist es eher selten und man kann auch gut Geschäfte machen, wenn man nicht mitmacht.
Das ist allerdings komplett anders im öffentlichen Dienst. Ja, auch dort gibt es anständige Menschen. Aber gefühlt werden es immer weniger. Ich habe nur einen Bereich erlebt, wo ich persönlich nie auf Korruption gestossen bin – die Polizei. Ansonsten? Überall!
Nein, man wird nicht zur Bestechung aufgefordert, so dumm ist niemand. Aber man bekommt immer wieder erzählt, wie teuer das Leben geworden ist, dass die Kinder heute Tablets für die Schule haben müssen und dass man gehört hat, dass es doch Leihgeräte gäbe …
An dieser Stelle hat man zwei Möglichkeiten. Man überhört es, wofür ich mich immer entschieden habe und entscheide und man ist raus. Oder man versteht es. Ganz besonders gut verstehen dies sehr oft Mitarbeiter der Mobilfunkbetreiber.
Das ist natürlich keine Korruption! Das sind Leihgeräte, Teststellungen, abgeschriebene Geräte, Demo-SIM-Karten und und und. Das Kind hat viele Namen, Korruption ist keiner davon. Deutschland ist ja weltweit führend in Transparenz und Ehrlichkeit!
All dies ging mir durch den Kopf, als ich darüber nachdachte, welche Aussichtslosigkeit Thomas Schäfer gemeint hat. Er hat dies sicherlich auch auf die aktuelle wirtschaftliche Situation bezogen. Aber ich bin sicher, dass die gesellschaftliche Situation, die teilweise Verkommenheit in der öffentlichen Verwaltung, ihn viel verzweifelter gemacht haben könnte.
Man kann nicht fast 10 Jahre Finanzminister sein und von all dem nichts mitbekommen. Thomas Schäfer hatte ein wesentliches Problem: er hat im Kern nie wirklich gearbeitet und war von Jugend an Politiker. Und hier dürfte sein Problem gelegen haben. Denn Politik und Lügen sind mittlerweile eine symbiotische Einheit.
Man kann in dem derzeit geltenden System nicht ohne Lügen und permanente Anpassungen aufsteigen, dies ist in der Politik noch viel krasser als in der Wirtschaft. In der Wirtschaft kann man Job und Ort wechseln und neu starten, in der Politik ist dies schwieriger.
Ich habe in den 40 Jahren, die ich arbeite, viele gebrochene Menschen kennengelernt. Ich vermute, dass Thomas Schäfer auch ein innerlich gebrochener Mensch war, gebrochen und zerbrochen an und auf dem Weg, den er zurückgelegt hatte.
Die Corona-Affäre kann für einen gesunden Menschen kein Grund sein, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, all die öffentlichen und scheinheiligen Kommentare finde ich nur peinlich. Krise ist Chance und wäre auch für Thomas Schäfer eine Chance gewesen, zu wachsen.
Er wollte dies offensichtlich nicht und vielleicht konnte er dies nicht, denn ich bin sicher, dass er nie grenzenlos gelebt hat. Alle Politiker sind arme Schweine (Sorry), die in dem von ihnen selbst errichteten Knast der Leichen, die ihren Weg pflastern, gefangen sind.
Ich gehe noch einen Schritt weiter in meiner Einschätzung. Aktive Beteiligung an Parteipolitik ist eine Form der Persönlichkeitsstörung, denn kein mental gesunder Mensch hält auf Dauer die Streitereien, Kompromisse und Anpassungen aus, die dieser gesellschaftliche Bereich vom Menschen verlangt.
Anpassung und Verzicht auf den in den eigenen Augen richtigen Weg macht Menschen auf Dauer kaputt, Lügen zerstört Menschen noch mehr. Lügen kann der Mensch nur dauerhaft ertragen, wenn er den Bezug zur Realität aufgibt und sich in der Lügenwelt einrichtet und arrangiert. Doch nicht jeder schafft das und auch nicht jeder findet einen Weg aus der Politik. Insofern kann ein Mensch in diesen Umfeldern über kurz oder lang nur eines – Verzweifeln. Und dies kann dann sehr traurig enden.
Doch es gibt einen Ausweg. Grenzenlos leben. Das kann jeder – lernen. Grenzenlos leben in der Politik halte ich für unmöglich, denn “Ehrlich gehst Du in der Politik unter!” Dies hat mir ein erfolgreicher Politiker bestätigt, den ich aus der Politik heraus zum grenzenlosen Leben begleiten durfte.
Schade, dass Thomas Schäfer dieser Weg nicht gegeben war. RIP.
Was ist Deine Erfahrung mit Lügen? Schreibe es mir bitte in den Kommentaren. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist auch dieser Beitrag: